Morgens beim Frühstück:
»Wir nehmen uns aber keinen Führer, oder? Ich möchte lieber auf eigene Faust ein bisschen durch den Nationalpark laufen.«
»Ja, macht doch mehr Spaß, wenn wir alleine was erleben können!«
Doch es sollte anders kommen. Es stimmt, wir hatten keinen Führer, sondern gleich zwei. Wir sind nicht einen Meter durch den Wald  laufen.
Aber erlebt haben wir viel...

Die Straßenkarte zeichnet ein klares Bild - es gibt nur eine Straße, der müssen wir bis zum Ende folgen, dann beginnt der Naturpark. Das reale Straßenbild sieht jedoch leider anders aus. Die Straße, der wir folgen, verzweigt sich ein paar Mal und am Ende gibt es zwar ein großes Hinweisschild auf den Naturpark, aber unser Weg endet auf einem Bauernhof zwischen gelangweilten Hunden und aufgeregt gackernden Hühnern.

Eine halbe Stunde später.
Wir stehen vor einem vielversprechend leuchtend gelben Haus, das Büro des Nationalparks, und hoffen, dass es hier Informationen über den Park gibt oder, noch besser, eine Wegbeschreibung. Theoretisch ja, gibt man uns in der benachbarten Polizeidienststelle zu verstehen, praktisch ist jedoch grad niemand da. Die Kommunikation gestaltet sich leider schwierig, da wir kein Spanisch und die diensthabenden Polizist*innen kein Englisch sprechen. Doch so schlecht ist sie wohl doch nicht, unsere Kommunikation, denn ein junger Polizist winkt uns hinterher, als wir schon wieder im Auto sitzen. Er könnte uns ein bisschen durch den Park führen, zwei Stunden, das wäre wohl drin. Wenn ich die Wahl hätte zwischen einer Spritztour mit uns und einem Nachmittag im Büro vor dem  Fernseher, ich würde mich auch für uns entscheiden.

Pedro ist 23 Jahre alt und hat eine kleine Tochter, Angelina-Nicole, in die er offensichtlich sehr vernarrt ist.

Fünf Kilometer Schotterpiste weiter stehen wir vor einem breiten Flussbett. Normalerweise würden wir hier umkehren und auch Pedro wirkt verunsichert. Er spricht mit ein paar jungen Männern, die im Fluss baden. Drei Minuten später sitzt Manolo in bunter Badehose und tropfnass neben mir auf dem Rücksitz. Er kennt sich aus und lenkt uns durch das Flussbett, abwechselnd durch Kies und seichte Wasserläufe. Unser Wagen mit Allradantrieb schlägt sich wacker, zahlreiche Reifenspuren zeugen von einem regen Auto-Verkehr - irgendwie beruhigend. Zwischen meinem liebsten Reisefreund und Pedro entwickelt sich eine angeregte Unterhaltung. Obwohl sie sich gegenseitig kaum verstehen, verstehen sie sich prima.

Tiefe Furten und steile Abgründe


Auf der anderen Seite des Flusses geht es weiter durch eine grüne Landschaft mit sanften Hügeln und sehr unsanften Schlaglöchern. Die Fahrspur verdient diesen Namen schon längst nicht mehr. Wir rumpeln im Schritttempo vorwärts und einige Passagen sind für unser Auto mit Allradantrieb-light fast nicht zu bewältigen. An einer besonders exponierten Stelle ragt die Motorhaube 'irgendwo ins Nirgendwo'. Pedro besieht sich die Sache von außen und lässt erst nach rechts, dann nach links kurbeln. Irgendwie schaffen wir es, die Stelle ohne Achsbruch zu meistern.

Vor meinem geistigen Auge gewinnen die Vorteile einer Pauschalreise zunehmend an Attraktivität.

Die nächste Furt liegt vor uns. Nun steigt Manolo aus und watet voran, das Wasser reicht ihn fast bis zu den Knien. Das war’s, denke ich, doch schon hat er das andere Ufer erreicht und winkt uns grinsend, ihm mit dem Auto zu folgen. Tief Luft holen, auf’s Gaspedal und los, es klappt prima. Ich bete, dass wir uns auf einem Rundweg befinden und nicht die gleiche Strecke wieder zurück fahren müssen.
Und plötzlich, als hätte jemand einen dicken Vorhang zur Seite gezogen, öffnet sich vor uns eine weite Bucht. Dunkler Sandstrand, verstreute Felsbrocken schimmern schwarz vor Nässe in der Sonne. Was für ein Kontrast nach dem üppigen Grün. Die sanfte Brandung reicht fast bis an den Urwald. Hier beginnt der Nationalpark.


Manolo führt uns zu einer kleinen Hütte, die unter Palmen im Dornröschenschlaf vor sich hindämmert. Er schärft eine Machete und schlägt uns ein paar Kokosnüsse, aus denen wir das erfrischende Wasser trinken und Pedro freut sich über den Schatten der riesigen Palmen. Seine Uniform ist eindeutig nicht für Strandausflüge vorgesehen .

Der Urwald ist undurchdringlich. Wie eine grüne Wand erheben sich die Bäume meterhoch über uns, jeder Kubikzentimeter ist ausgefüllt mit sattem Leben. Schlingpflanzen winden sich die Stämme empor, Bromelien hocken wie Legehennen auf den dicken Ästen. Luftwurzeln und Flechten baumeln dünnbärtig in der Luft. Manolo organisiert schnell noch ein Bündel Kokosnüsse, dann wandern wir über den Strand zurück zu unserem Auto.
Natürlich war es kein Rundweg, doch bei der Rückfahrt ist wohl jede Furt irgendwie weniger tief. Das Nirgendwo hat sich in eine beeindruckende Steilstelle verwandelt, die wir erst mit dem dritten Anlauf meistern. Trotz  der lauten Kratzgeräusche sind am Wagen keine Lackschäden zu sehen. Glück gehabt.

Im Kofferraum poltern die Nüsse und ich stelle mir vor, wie es in ein paar Jahren sein wird: Pedro hat seinen Dienst quittiert und bietet Adventure Tours in undurchdringliche Regenwälder an. Manolo hat ein Strandcafé eröffnet und zaubert für seine Gäste immer wieder neue Kokosnuss-Variationen. Und abends sitzen sie zusammen und erinnern sich: »Weißt Du noch, damals, als die beiden Deutschen unbedingt in den Nationalpark wollten? Dabei steht in jedem Reiseführer, dass das von dieser Seite aus unmöglich ist.«

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