Die Frau wirkte etwas verloren.
Sie stand allein vor ihrem Pult, um sie herum öffnete sich das Halbrund des voll besetzten Hörsaales. Zum Glück hatte die Mode einige Jahre zuvor Einsehen mit den Frauen gehabt und das fest geschnürte Mieder aus selbiger kommen lassen. Sonst wäre sie wohlmöglich in Ohnmacht gefallen.
Im Oktober 1928 ahnte niemand, dass dieser Vortrag an der renommierten Universität Cambridge in die (Frauen-)Geschichte eingehen sollte. Virginia Woolf veröffentlichte ihn, zusammen mit einem zweiten Text, ein Jahr später als Essay mit dem Titel: 
"A Room of One’s Own" (Ein Zimmer für sich allein).

Doch ein Zimmer ist nicht genug!


Ungefähr 100 Jahre später haben wir Frauen ein Zimmer für uns allein.
Allerdings: Es ist uns längst zu klein geworden. 
Wenn wir unsere Yogamatte ausrollen wollen, müssen wir erst die Bücher über Feng Shui, vegane Ernährung und Astrophysik auf das schmale Bett stapeln und den Werkzeugkoffer dort hinstellen, wo er hingehört: in die Garage neben unser Motorrad. 
Seit Virginia Woolf ihren Essay veröffentlichte, ist viel passiert. 
Wir Frauen sind dabei, die ganze Welt zu erobern, aber ein Teil von uns scheint sich immer noch im stillen Kämmerlein zu verstecken. Gerade Frauen über 50  haben Karriere gemacht, Ziele erreicht und fühlen sich doch irgendwie leer. Sie sind zwischen Work & Life balanciert, bis ihnen schwindelig wurde. Und doch ... Irgendetwas fehlt. In einer Lebensphase, in der frau schon Vieles erreicht hat (besagte Karriere, Kinder ...) stellt wir fest, dass dabei etwas auf der Strecke geblieben ist. Oft sind es die Frauen über 50, sie haben schon lange ein Zimmer für sich allein, die merken:
Ein Zimmer ist nicht genug!


Frauen über 50 wollen nicht ein Zimmer. Sie wollen das ganze Schloss!

Durchfährt dich beim Lesen ein kleiner Schreck? 
Das wäre ganz normal ...
Denn wir alle sind damit aufgewachsen, keine Forderungen zu stellen. 
Und schon gar nicht als Frau. Dass Frauen Forderungen stellen, ist nicht vorgesehen im Schaltplan unserer Gesellschaft. Aber sie tun es und Schritt für Schritt geht es voran. Virginia Woolf hat es getan. Sie fordert in ihrem Essay geistige und materielle Unabhängigkeit für Frauen, mehr Teilhabe an (kultureller) Produktion und einen eigenen 'Raum' in der Geschichte, eine Geschichtsschreibung also, die den weiblichen Anteil an der Entwicklung der Menschheit benennt und damit würdigt. Ausbildung, Wahlrecht, Recht auf persönliche und sexuelle Selbstbestimmung, alles dies und mehr haben Frauen inzwischen erreicht. 
Der Schaltplan der Gesellschaft hat sich verändert. 
Neue Wege öffnen sich.

Haben wir den Mut, neue Wege zu gehen?


Sind es überhaupt unsere Wege? 
Besonders diese Frage ist es wert, gestellt zu werden.
Die Berufs- und Karrierewege, die Frauen inzwischen zumindest theoretisch offen stehen, sind häufig 'Männerwege'. Bestens ausgebaut und auf deren Bedürfnisse ausgelegt. In Zeiten etabliert, als Männer im Beruf noch weitestgehend unter sich waren. Besonders die Frauen, die heute über 50 sind, können ein Lied davon singen.
Familienwege sind (immer noch) auf eben diese Karrierewege abgestimmt. Nach wie vor beruhen beide auf einem Modell, dass eine(n) Haupternährer(in) für die Familie vorsieht. Frauen (inzwischen auch Männer) müssen sich entscheiden: Job oder Familie. In der Regel sieht diese Entscheidung ganz ähnlich aus wie vor hundert Jahren. Unter anderem auch deshalb, weil die Jobs von Frauen immer noch schlechter bezahlt werden und weil Männer, die ihre Familienzeit nehmen, Nachteile in Kauf nehmen müssen.


Kennen Frauen über 50 ihren persönlichen Weg?


Persönliche Wege sind eng verknüpft mit unseren Berufs- und Familienwegen, lassen uns aber mehr Spielraum. Hier müssen wir unser Schloss nicht einfordern, wir können es selber bauen. Das einzige, was wir dafür brauchen, ist ein vernünftiger Bauplan und etwas Werkzeug. Noch wichtiger ist allerdings eine Vision. Eine Vorstellung davon, wie unser Schloss aussehen soll, wie wir darin leben wollen. Ist es eher verspielt mit Türmchen und Zinnen oder herrschaftlich? Dient es dem Spaß und der Erholung oder der Repräsentation?

Wenn Du nun das Bild des Schlosses auf dein Leben überträgst - wofür steht es? Welche Seiten von dir willst Du in deinem ganz persönlichen Schloss verwirklichen? Geht es um Beziehungen, private wie berufliche? Um die Verwirklichung deiner Träume, die schon so lange in dir schlummern, als wären sie in ein künstliches Koma versetzt? Willst Du endlich die sein, die Du nie sein konntest? 
Ist das alles für dich noch diffus und verschwommen, dann stell dir jeden Morgen zwei Fragen:

  • Wie will ich sein?
  • Wie komme ich dorthin?


Dann geh in deinen Tag, ohne weiter darüber nachzudenken.
Lass deinen Verstand in dieser Sache außen vor, er kann dir nur Antworten geben, die Du schon kennst. Sei offen für die Botschaften deines Herzens, für kleine Begebenheiten, Begegnungen. Für die flauschige Feder auf deinem Weg oder das schüchterne Lächeln des kleinen Mädchens im Supermarkt, das dich vielleicht erinnert an eine Idee, die Du vor Jahren hattest. Wäre nicht jetzt ein guter Zeitpunkt, diese Idee in die Welt zu bringen?

Wie siehst Du die Chancen, als Frau (und über 50) neue Wege zu gehen?
Schreibe deine Gedanken dazu im Kommentarfeld - ich bin gespannt, was Du darüber denkst!

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